Wie Männer glauben...

Auszug aus der Studie „Männer in Bewegung“ 2009, S. 318/319


Religiosität/Religion/Kirchlichkeit

Die Darstellung der religiösen Dimension der Befragten folgt methodologisch einem Dreischritt. Dieser beginnt bei der subjektiven Religiosität, fragt dann nach dem „Glaubenshaus“ der Person mit ihren religiösen Deutungen („Religion“) und erkundigt sich schließlich, inwieweit die religiöse Energie einer Person sich in eine religiöse Gemeinschaft einwählt („Kirchlichkeit“).

Das religiöse Gesamtpotenzial von Frauen (1998: 63 %, 2008: 43 %) ist deutlich schwächer geworden. Jenes von Männern ist gewachsen (1998: 37 %, 2008: 39 %). Als religiös bezeichnen sich insbesondere die teiltraditionellen Frauen (1998: 67 %, 2008: 65 %). Die Modernen (2008: Männer 28 % und Frauen 33 %) sind ihrer Aussage gemäß am wenigsten religiös. Hinsichtlich der persönlichen Religiosität haben sich Männer und Frauen in den letzten zehn Jahren auf einem niedrigen Niveau angenähert.

Die religiöse Erziehung in der Kindheit war (auf die eigene Kindheit rückblickend) in den letzten zehn Jahren deutlich rückläufig. Vor allem der Anteil jener, die überhaupt keine religiöse Erziehung als Kind erfahren haben, verdoppelte sich nahezu von 16 % auf 27 %.
Unter den Befragten finden wir – als Weltdeutungstypen – Szientisten, Religionskomponisten und Christen, vormoderne und moderne. Diese besitzen unterschiedliche Weltdeutungen. Szientisten sind säkular, atheisierend, Religionskomponisten tendieren zu kirchlich ungebundener Spiritualität, Christen – vormodern oder modern – leben hinsichtlich ihrer Glaubensinhalte im Raum des Christentums, gehen aber mit diesem wählerisch-auswählend um. Die Lage der (Un-)Glaubenssysteme erweist sich als sehr bunt … Teiltraditionelle finden wir eher (aber nicht nur) im Raum des Christentums, Moderne haben hohe Anteile säkularer Szientisten: Sie glauben stärker an die Wissenschaft.

Jesus ist einem Viertel der Befragten ein Vorbild. Ihm werden (je nach dem Bild der eigenen Männlichkeit) entsprechende männliche Eigenschaften zugeschrieben.
Mehr als 1998 mündet bei Männern persönliche Religiosität in den Raum einer kirchlichen Gemeinschaft. Die Kirchenverbundenheit – bei Mitgliedern – sowie die Kirchensympathie – bei Nichtmitgliedern – sind in den letzten zehn Jahren bei Männern merklich gewachsen. Bei Frauen scheint sich der rasche Auszug aus den Kirchen gebremst zu haben. Männer und Frauen treffen sich so auf einem verwandten Niveau von Kirchlichkeit.
Die Kirchenverbundenheit steht in enger Verbindung mit der messbaren Balance zwischen Irritationen und Gratifikationen. Je mehr sich diese Balance zugunsten der Gratifikationen neigt, umso verbundener erweist sich eine befragte Person. Ein kleiner Teil der Befragten fühlt sich über Tradition an eine Kirche gebunden.

Der subjektiv wahrgenommene Einfluss der Kirche auf das Leben ist in den letzten zehn Jahren angewachsen. Einen eher förderlichen Einfluss erlebten 1998 28 % der Männer, 2008 sind es 49 %. Bei den Frauen stiegen die Werte von 34 % auf 46 %.
Etwa die Hälfte der Befragten erlebt bei körperlich aktivem „Auftanken“ in der Natur eine Art Naturmystik. Diese kann sich weltanschaulich unterschiedlich einfärben: christlich, spirituell, aber auch atheisierend.

Je nach sozioreligiöser Ausstattung unterscheiden sich die Untersuchten in Fragen der Moral allein hinsichtlich der maßgeblichen „Lebensmoral“. Leben in seinen vielfältigen Variationen (Ehen, Ungeborene, Sterbende) ist bei religiös-kirchlich Gebundenen moralisch etwas besser aufgehoben.

Auszug aus der Studie „Männer in Bewegung“ 2009, S. 323/324

Neue religiöse Sensibilität von Männern

An verschiedenen Stellen der Umfrage wurde erkennbar, dass es in den letzten zehn Jahren eine wachsende Sensibilität von Männern für Religiosität, Spiritualität, noch mehr auch für emotionale Verbundenheit mit einer/der Kirche gibt.

Den Ursachen für dieses Ergebnis ist in der Studie, weil es sich unerwartet einstellte, nicht nachgegangen worden. Dass sich diese Sensibilität allein kulturellen Rahmenbedingungen für Religiosität/Spiritualität verdankt, ist deshalb nicht sehr wahrscheinlich, weil sich ja dann auch bei Frauen eine ähnliche Entwicklung hätte zeigen müssen. Was aber nicht der Fall ist. Das Verhältnis von Frauen zu allen Dimensionen des Religiösen hat sich in den letzten Jahren auf einem für Frauen eher niedrigen Niveau stabilisiert.

Dass an dieser kritischen Lage von Frauen gegenüber der Religion die Haltung der katholischen (und noch mehr der orthodoxen) Kirche Frauen gegenüber beteiligt ist, kommt wohl auch deshalb nicht infrage, weil ja sonst die weithin frauenfreundlichere evangelische Kirche ganz andere Verhältnisse haben müsste: was wiederum nicht der Fall ist.
Eine mögliche Hypothese könnte sein, dass die neue religiöse Sensibilität bei einem Teil der Männer sich just der Säkularität verdankt. Männer waren führend im Prozess der letzten „Säkularisierung“, die seit der Mitte der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts vor allem die institutionalisierte Religion, also die christlichen Kirchen, betroffen hatte. Viel schneller als Frauen reagierten sie auf dieses Angebot, sich einer Kultur der reinen Vernunft, der Rationalität, ja des Positivismus und der umfassenden Machbarkeit bis in den normativen Bereich hinein anzuvertrauen.

Könnte es nun sein, dass sich nach und nach dieses Vertrauen in das pur Säkulare in den letzten Jahren erschöpft hat? Dann würde paradoxerweise eine spirituelle Dynamik just aus zugespitzter, aber erschöpfter Säkularität erstehen. Säkularität würde in der Form des Säkularismus ihre eigene Totengräberin werden.

Auf diesem Boden könnte sich eine postsäkulare moderne männliche Spiritualität entwickeln. Wird diese antivernünftig, antipositivistisch, normativ, also eher fundamentalistisch ausgeformt sein? Oder kleidet sie sich in das Gewand moderner Skepsis, damit in den Modus des Pilgerns und? Und welche Kraft wird solche Spiritualität/Religiosität bei der Entwicklung von Männerleben spielen? Fragen, die heute noch von niemandem zu beantworten sind.