Toben tröstet

Die Rolle von Vätern in der religiösen Sozialisation


Mit Papa unterwegs sein und die Alltagswelt erkunden, gemeinsam kleine und große Abenteuer erleben, sich auf Papa verlassen können, wenn er gebraucht wird – auf den ersten Blick hat das noch nicht viel mit religiöser Erziehung zu tun. Aber ein zweiter Blick zeigt, wie sehr im mehr oder weniger alltäglichen Miteinander von Vätern und Kindern Beziehungsmuster vorkommen, die für das Verstehen religiöser Rede von Gott eine Rolle spielen. Dass Gottes Spuren in der Welt gesehen werden können, dass Gott Mut macht, Neues zu wagen, dass man Gott vertrauen kann, wie einem verlässlichen Vater – das kann nur verstanden werden, wenn Vergleichbares im Leben schon einmal irgendwo vorgekommen ist. Mit diesem Hinweis soll nun nicht ein besonders männliches Gottesbild gezeichnet werden. Aber Rede von Gott bewegt sich in Bildern aus dem familiären Beziehungsgefüge. „Die innerhalb des Familienverbundes gemachten Erfahrungen als Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder oder Schwester sind offensichtlich unverzichtbar, um das Verhältnis von Gott und Mensch angemessen formulieren zu können.“ – schreibt Michael Domsgen in seinem Buch „Familie und Religion“. Dabei geht es nun nicht um einfache Übertragungen sondern um ein möglichst reichhaltiges Erfahrungsfeld an Beschreibungs- und Verstehensmöglichkeiten.

Die Präsenz von Vätern im Familienalltag, die gemeinsame Zeit, die erlebte Verantwortung, die Erfahrung eigener Grenzen am Anderen sind maßgeblich für das „religiöse Repertoire“ von Kindern. Aber wie sieht ein spezifisch männlicher Beitrag in diesem Zusammenhang aus? In der Diskussion ist die Idee, es gäbe männliche „Archetypen“, also Urbilder, aus denen auch moderne Männlichkeit ihre Kraft schöpft. Eine anschauliche Inszenierung dieser Idee ist z.B. der Film „Der Herr der Ringe“. In ihm kommen alle diese männlichen Urbilder in ihrer jeweils guten und bösen Ausprägung vor: Magier, Könige, Krieger, Liebhaber und wilde Kerle. Diese Urbilder faszinieren nach wie vor und haben ihre Bedeutung als Erzähl- und Spielelemente. Aber um den Beitrag von Männern zur religiösen Sozialisation zu beschreiben, ist dieses Konzept allein zu eng. Außerdem kann es dazu verleiten, bestimmte Formen des Männerlebens als positiv und naturwüchsig zu beschreiben und andere abzuwerten.

Deshalb soll hier der Weg beschritten werden, männliche Spiritualität als ein Themen- und Erfahrungsfeld zu beschreiben. Ziel ist es, die Kompetenz von Männern in religiösen Fragen in den Blick zu bekommen und sie zu einem Ausgangspunkt für religionspädagogische Projekte in der Familienbildung zu machen. 2005 erschien eine Studie mit dem Titel „Was Männern Sinn gibt – Die unsichtbare Religion kirchenferner Männer“. Martin Engelbrecht hat darin eine Gliederung entworfen, die das Themenspektrum religiösen Erlebens von Männern in anzubilden versucht. Dieser thematische Grundriss ist geeignet, eine religiöse Dimension im Erleben von Männern zu entdecken und anzusprechen. Gleichzeitig lassen sich damit Einstiegspunkte markieren, an denen Väter mit ihren Kindern zu religiösen Fragen in Kontakt kommen können.

Beschrieben sind dort „Leitmotive“, die sich auf die Arbeit mit Vätern und Kindern so übertragen lassen: Mit Kindern die Erfahrung teilen, dass das Leben ein Kampf gegen Widrigkeiten sein kann. Nicht jeder Streit lässt sich vermeiden und Konflikte wollen bearbeitet sein. Gemeinsam den Wert tragender Beziehungen zu Freundinnen und Freunden, in der Familie, in einer Gruppe schätzen und würdigen. Abenteuer suchen. Spaß am Lernen teilen. Kreativität ausleben. Das alles machen Männer anders und darüber reden Männer anders. Da passiert zum Beispiel ein Malheur. Väter trösten zwar auch durch Nähe und gute Worte. Aber dann kann es sein, dass es gemeinsam in die Aktion geht mit der Erfahrung, dass Bewegung über Frust und Schmerz hinweg helfen kann. Aber alle Beispiele hinken hier. Was das Andere ist, lässt sich nicht grundsätzlich beschreiben, will man nicht alte und neue Klischees bedienen. Und trotzdem ist dieser Unterschied präsent und wird auch von Kindern gesehen. Die Suche nach ihrer eigenen Identität als Mädchen oder Junge nötigt sie dazu, sich in einer Welt von weiblich und männlich zurechtzufinden. Und dazu gehört es, mitzubekommen, was Vätern und Männern wirklich wichtig ist in ihrem Leben, dazu gehört gemeinsames Erleben und ein Austausch darüber, wie wiederkehrende Grundmotive das Leben prägen. Der wirksamste Schutz vor Klischees ist die erlebte Vielfalt von Männern und Vätern. Beschrieben werden in der Studie auch drei Sinndimensionen, die sich in folgenden Fragen zusammenfassen lassen: „Worauf kann ich stolz sein?“ – „Wofür bin ich dankbar?“ – „Was sind bewegende Augenblicke in meinem Leben?“ Männer und Kinder haben Antworten auf die Fragen Ihre Antworten passen allerdings nicht immer zu dem, wie Gemeinden ihr Glaubensleben gestalten. Aber es gilt sich klar zu machen, dass bei Vätern und Kindern entsprechende Kompetenzen vorhanden sind. Die Herausforderung Evangelischer Familienbildung besteht darin, Gelegenheiten zu schaffen, bei denen diese Kompetenz genutzt werden kann, um sich in biblischer Überlieferung zu orientieren und dadurch zu einem tieferen Verstehen und Erleben zu kommen.

Dabei ist dem Rechnung zu tragen, dass die Antworten des christlichen Glaubens auf die Fragen des Lebens in unserer Gesellschaft nicht die einzig möglichen sind. Ihr Wahrheitsanspruch ist Glaubenssache, aber als Glaubenssache auch nicht verhandelbar. Das verkompliziert einmal mehr das Anliegen, Väter und Kinder in ihrer religiösen Kompetenz ernst zu nehmen, mit ihnen gemeinsam Gelegenheiten religiösen Erlebens zu gestalten und die Rolle von Vätern in der religiösen Erziehung zu beschreiben. Hilfreich ist dabei eine „Landkarte religiöser Bildung“, die Frieder Harz 2003 vorgelegt hat. Darin beschreibt er acht Grundmerkmale religiöser Bildung: Vertrauen erfahren, Selbständigkeit lernen, mit Konflikten umgehen können, Verantwortlichkeit lernen, Neugier pflegen, mit Geheimnissen leben, der Phantasie Raum geben, Hoffnung in sich tragen. Diese Grundmerkmale lassen sich durchaus beziehen auf die vorhin beschriebenen Sinndimensionen und Leitmotive. Für das Einbeziehen von Vätern in religionspädagogische Arbeit ist aber auch die „Querspalte“ seiner Landkarte bedeutsam. Hier fragt er nach der Bedeutung der Grundmerkmale 1. für die allgemeine Bildung, 2. für die religiöse Bildung, 3. für die christliche Bildung, 4. für die interreligiöse Bildung und schließlich fragt er 5. nach dem Gemeindebezug. Damit lassen sich Themen, Aktionen, gestaltete Erfahrungsräume religionspädagogisch so verorten, dass die Kompetenz der Väter und Kinder wertschätzend eingebunden werden kann. Gleichzeitig kommt die Bedeutung für christliche Bildung zentral, aber nicht ausschließend, in den Blick.

Zum Beispiel fahren Väter mit den Kindern los, um Weihnachtsbäume für den Kindergarten oder die Kirche zu besorgen. Ein kleines Abenteuer aber auch Anlass für den Austausch darüber, was den Vätern und den Kindern an Weihnachten wichtig ist und was das besondere an diesem christlichen Fest. Oder beim Aufbau der Weihnachtskrippe kommt einmal Joseph in den Mittelpunkt und mit ihm der Gedanke, dass alle Kinder eigentlich von Gott kommen und die Frage für was für ein Vaterbild und für welche Vatererfahrungen der Joseph steht. Oder da wäre die Erzählung von Josef und seinen Brüdern und der Spaß am bunten Rock und die Erfahrungen mit den Gefahren und Chancen des Andersseins. Oder da wäre die Erzählung vom Kampf Jakobs, der eine ganze Nacht an einem Fluß um den Segen Gottes ringt und die Frage, was es bedeutet, wenn Väter ihren Kindern Segen versagen.

Nun soll hier auch nicht ansatzweise der Versuch unternommen werden, aus der um männliche Sinndimensionen angereicherten Landkarte religiöser Bildung einen Lehrplan für die religionspädagogische Arbeit mit Vätern und Kindern zu entwickeln. Aber die Aspekte allgemeiner, religiöser, christlicher und interreligiöser Bildung gehören zu verantwortlich gestalteten Prozessen gemeinsamen Lernens von Vätern und Kindern. Die drei Sinndimensionen und die fünf Leitmotiven eröffnen ein Feld, auf dem die Kompetenz von Vätern in religiösen Fragen sichtbar werden kann und die Präsenz von Männern mit ihren vielfältigen und doch spezifischen Herangehensweisen gefragt ist. Hier geht es nicht so sehr um das „besonders männliche“, sondern um die Anwesenheit von Männern, die es Kindern erlaubt, die „feinen Unterschiede“ wahrzunehmen und sich darin auch im Umgang mit Religiosität zu orientieren. Die männlichen und weiblichen Vorbilder, die Kinder dabei für sich entdecken, sind immer konkret. Einzelne Menschen, zu denen eine besondere Bindung entsteht – mit denen man aber auch die Erfahrung machen kann, dass sie ganz anders sind, als man sie sich vorgestellt hat. So wie familiäre Grundfiguren unsere Rede von Gott prägen, so kann auf der anderen Seite die Rede von Gott helfen, Distanz zu nehmen und sich als eigene Persönlichkeit wahrzunehmen. Die Präsenz von Vätern und Erziehern im Erfahrungsraum von Kindertagesstätte und Grundschule verschafft Kindern einen größeren Erfahrungsreichtum aber auch die Chance auf mehr Klarheit in der eigenen Geschlechterrolle. Diese Klarheit wird nicht aus einem irgendwie kultivierten Klischee gewonnen, sondern aus Beobachtung, individueller Aneignung und Ermutigung zur inneren Zustimmung zu sich selbst: ja, so bin ich und ich bin ein Junge – ja, so bin ich, und ich bin ein Mädchen.

Tolle Sachen mit Vätern, das sind Themen und Projekte mit einem hohen Erlebniswert für Väter und Kinder. Das Erfahrungsfeld und die darin wurzelnde religiöse Dimension wurden mit Hinweis auf die Studie „Was Männern Sinn gibt“ skizziert. Dort ist noch ein weiterer wichtiger Zusammenhang beschrieben. „Männer leben im Pendelschritt zwischen Welt und Gegenwelt“. Gegenwelten, das sind die Räume, in denen Männer Fremdbestimmung hinter sich lassen. Dazu gehört das „Abschalten“ in der Natur oder das Versinken in Hobbys. Gegenwelten, halten die Idee von einem besseren, gelingenderem Leben aufrecht. Für unseren Zusammenhang ist wichtig: Männer (aber auch Frauen) neigen heute in steigendem Maße dazu, ein idealtypisches Bild von Partnerschaft, Familie und vom Leben mit Kindern zu zeichnen. Besonders für Männer, die im Alltag wenig mit den Kindern zusammen sind, entsteht das Risiko, die tollen Aktionen mit Kindern vollständig einer „Gegenwelt“ zuzurechen. Gute gemeinsame Zeit, wichtige Begegnungen, schöne gemeinsame Erfahrungen haben ihren Wert für sich. Sie zeigen darüber hinaus, dass besseres Leben möglich ist. Aber es besteht die Gefahr, dass Väter ihre Kinder in dieser Gegenwelt alleine zurücklassen, weil sie keinen Weg sehen, sie in ihren Alltag der beruflichen und anderer Zwänge mitzunehmen. Dann ist es eine Frage religionspädagogischer Verantwortung, Formen zu finden, in denen Väter und Kinder den „Pendelschritt zwischen Welt und Gegenwelt“ gemeinsam gehen können. Das kann zum Beispiel das gemeinsame Gebet zum Abschluss eines Vater-Kind-Wochenendes sein. Beten markiert die Übergänge zwischen Welt und Gegenwelt. Es hilft Realitäten zu sehen und Hoffnung zu bewahren über den Tag hinaus.

Dieter Rothardt
Landesmännerpfarrer, Ev. Kirche von Westfalen