Praxishandbuch
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Theologische Perspektiven auf Väter und ihre Kinder
Die Rolle von Vätern in der religiösen Sozialisation
Dieter Rothardt
Mit Papa unterwegs sein und die Alltagswelt erkunden, gemeinsam kleine
und große Abenteuer erleben, sich auf Papa verlassen können, wenn er
gebraucht wird - auf den ersten Blick hat das noch nicht viel mit religiöser
Erziehung zu tun.
Aber ein zweiter Blick zeigt, wie sehr im mehr oder weniger alltäglichen
Miteinander von Vätern und Kindern Beziehungsmuster vorkommen, die für
das Verstehen religiöser Rede von Gott eine Rolle spielen. Dass Gottes
Spuren in der Welt gesehen werden können, dass Gott Mut macht, Neues
zu wagen, dass man Gott vertrauen kann, wie einem verlässlichen Vater -
das kann nur verstanden werden, wenn Vergleichbares im Leben schon
einmal irgendwo vorgekommen ist.
Mit diesem Hinweis soll nun nicht ein besonders männliches Gottesbild
gezeichnet werden. Aber die Rede von Gott bewegt sich in Bildern aus dem
familiären Beziehungsgefüge. "Die innerhalb des Familienverbundes
gemachten Erfahrungen als Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder oder
Schwester sind offensichtlich unverzichtbar, um das Verhältnis von Gott und
Mensch angemessen formulieren zu können." - schreibt Michael Domsgen
in seinem Buch "Familie und Religion". Dabei geht es nun nicht um einfache
Übertragungen sondern um ein möglichst reichhaltiges Erfahrungsfeld an
Beschreibungs- und Verstehensmöglichkeiten.
Die Präsenz von Vätern im Familienalltag, die gemeinsame Zeit, die erlebte
Verantwortung, die Erfahrung eigener Grenzen am Anderen sind
maßgeblich für das "religiöse Repertoire" von Kindern.
Aber wie sieht ein spezifisch männlicher Beitrag in diesem Zusammenhang
aus? In der Diskussion ist die Idee, es gäbe männliche "Archetypen", also
Urbilder, aus denen auch moderne Männlichkeit ihre Kraft schöpft. Eine
anschauliche Inszenierung dieser Idee ist z.B. der Film "Der Herr der
Ringe". In ihm kommen alle diese männlichen Urbilder in ihrer jeweils guten
und bösen Ausprägung vor: Magier, Könige, Krieger, Liebhaber und wilde
Kerle. Diese Urbilder faszinieren nach wie vor und haben ihre Bedeutung als
Erzähl- und Spielelemente. Aber um den Beitrag von Männern zur religiösen
Sozialisation zu beschreiben, ist dieses Konzept allein zu eng. Außerdem
kann es dazu verleiten, bestimmte Formen des Männerlebens als positiv
und naturwüchsig zu beschreiben und andere abzuwerten.
Deshalb soll hier der Weg beschritten werden, männliche Spiritualität als ein
Themen- und Erfahrungsfeld zu beschreiben. Ziel ist es, die Kompetenz von
Männern in religiösen Fragen in den Blick zu bekommen und sie zu einem
Ausgangspunkt für religionspädagogische Projekte in der Familienbildung
zu machen. 2005 erschien eine Studie mit dem Titel "Was Männern Sinn
gibt - Die unsichtbare Religion kirchenferner Männer". Martin Engelbrecht
hat darin eine Gliederung entworfen, die das Themenspektrum religiösen
Erlebens von Männern abzubilden versucht. Dieser thematische Grundriss
ist geeignet, eine religiöse Dimension im Erleben von Männern zu
entdecken und anzusprechen. Gleichzeitig lassen sich damit
Einstiegspunkte markieren, an denen Väter mit ihren Kindern zu religiösen
Fragen in Kontakt kommen können.
Beschrieben sind dort "Leitmotive", die sich auf die Arbeit mit Vätern und
Kindern so übertragen lassen: Mit Kindern die Erfahrung teilen, dass das
Leben ein Kampf gegen Widrigkeiten sein kann. Nicht jeder Streit lässt sich
vermeiden und Konflikte wollen bearbeitet sein. Gemeinsam den Wert
tragender Beziehungen zu Freundinnen und Freunden, in der Familie, in
einer Gruppe schätzen und würdigen. Abenteuer suchen. Spaß am Lernen
teilen. Kreativität ausleben. Das alles machen Männer anders und darüber
reden Männer anders.
Da passiert zum Beispiel ein Malheur. Väter trösten zwar auch durch Nähe
und gute Worte. Aber dann kann es sein, dass es gemeinsam in die Aktion
geht mit der Erfahrung, dass Bewegung über Frust und Schmerz hinweg
helfen kann. Aber alle Beispiele hinken hier. Was das Andere ist, lässt sich
nicht grundsätzlich beschreiben, will man nicht alte und neue Klischees
bedienen. Und trotzdem ist dieser Unterschied präsent und wird auch von
Kindern gesehen. Die Suche nach ihrer eigenen Identität als Mädchen oder
Junge nötigt sie dazu, sich in einer Welt von weiblich und männlich
zurechtzufinden. Und dazu gehört es, mitzubekommen, was Vätern und
Männern wirklich wichtig ist in ihrem Leben, dazu gehört gemeinsames
Erleben und ein Austausch darüber, wie wiederkehrende Grundmotive das
Leben prägen. Der wirksamste Schutz vor Klischees ist die erlebte Vielfalt
von Männern und Vätern.
Beschrieben werden in der Studie auch drei Sinndimensionen, die sich in
folgenden Fragen zusammenfassen lassen: "Worauf kann ich stolz sein?" -
"Wofür bin ich dankbar?" - "Was sind bewegende Augenblicke in meinem
Leben?"
Männer und Kinder haben Antworten auf die Fragen. Ihre Antworten passen
allerdings nicht immer zu dem, wie Gemeinden ihr Glaubensleben gestalten.
Aber es gilt sich klar zu machen, dass bei Vätern und Kindern
entsprechende Kompetenzen vorhanden sind. Die Herausforderung
Evangelischer Familienbildung besteht darin, Gelegenheiten zu schaffen,
bei denen diese Kompetenz genutzt werden kann, um sich in biblischer
Überlieferung zu orientieren und dadurch zu einem tieferen Verstehen und
Erleben zu kommen.
Dabei ist dem Rechnung zu tragen, dass die Antworten des christlichen
Glaubens auf die Fragen des Lebens in unserer Gesellschaft nicht die einzig
möglichen sind. Ihr Wahrheitsanspruch ist Glaubenssache, aber als
Glaubenssache auch nicht verhandelbar.
Themen, Aktionen, gestaltete Erfahrungsräume können
religionspädagogisch so verortet werden, dass die Kompetenz der Väter
und Kinder wertschätzend eingebunden werden kann. Gleichzeitig kommt
die Bedeutung für christliche Bildung zentral, aber nicht ausschließend, in
den Blick.
Zum Beispiel fahren Väter mit den Kindern los, um Weihnachtsbäume für
den Kindergarten oder die Kirche zu besorgen. Ein kleines Abenteuer aber
auch Anlass für den Austausch darüber, was den Vätern und den Kindern an
Weihnachten wichtig ist und was das besondere an diesem christlichen
Fest. Oder beim Aufbau der Weihnachtskrippe kommt einmal Joseph in den
Mittelpunkt und mit ihm der Gedanke, dass alle Kinder eigentlich von Gott
kommen und die Frage für was für ein Vaterbild und für welche
Vatererfahrungen der Joseph steht. Oder da wäre die Erzählung von Josef
und seinen Brüdern und der Spaß am bunten Rock und die Erfahrungen mit
den Gefahren und Chancen des Andersseins. Oder da wäre die Erzählung
vom Kampf Jakobs, der eine ganze Nacht an einem Fluss um den Segen
Gottes ringt und die Frage, was es bedeutet, wenn Väter ihren Kindern
Segen versagen.
Die drei Sinndimensionen und die fünf Leitmotiven eröffnen ein Feld, auf
dem die Kompetenz von Vätern in religiösen Fragen sichtbar werden kann
und die Präsenz von Männern mit ihren vielfältigen und doch spezifischen
Herangehensweisen gefragt ist.
Hier geht es nicht so sehr um das "besonders Männliche", sondern um die
Anwesenheit von Männern, die es Kindern erlaubt, die "feinen
Unterschiede" wahrzunehmen und sich darin auch im Umgang mit
Religiosität zu orientieren. Die männlichen und weiblichen Vorbilder, die
Kinder dabei für sich entdecken, sind immer konkret. Einzelne Menschen,
zu denen eine besondere Bindung entsteht - mit denen man aber auch die
Erfahrung machen kann, dass sie ganz anders sind, als man sie sich
vorgestellt hat.
So wie familiäre Grundfiguren unsere Rede von Gott prägen, so kann auf
der anderen Seite die Rede von Gott helfen, Distanz zu nehmen und sich
als eigene Persönlichkeit wahrzunehmen. Die Präsenz von Vätern und
Erziehern im Erfahrungsraum von Kindertagesstätte und Grundschule
verschafft Kindern einen größeren Erfahrungsreichtum aber auch die
Chance auf mehr Klarheit in der eigenen Geschlechterrolle. Diese Klarheit
wird nicht aus einem irgendwie kultivierten Klischee gewonnen, sondern aus
Beobachtung, individueller Aneignung und Ermutigung zur inneren
Zustimmung zu sich selbst: ja, so bin ich und ich bin ein Junge - ja, so bin
ich, und ich bin ein Mädchen.
Väter-Arbeit im Raum der evangelischen Kirche - das sind Themen und
Projekte mit einem hohen Erlebniswert für Väter und Kinder. Das
Erfahrungsfeld und die darin wurzelnde religiöse Dimension wurden mit
Hinweis auf die Studie "Was Männern Sinn gibt" skizziert. Dort ist noch ein
weiterer wichtiger Zusammenhang beschrieben. "Männer leben im
Pendelschritt zwischen Welt und Gegenwelt". Gegenwelten, das sind die
Räume, in denen Männer Fremdbestimmung hinter sich lassen. Dazu
gehört das "Abschalten" in der Natur oder das Versinken in Hobbys.
Gegenwelten, halten die Idee von einem besseren, gelingenden Leben
aufrecht. Für unseren Zusammenhang ist wichtig: Männer (aber auch
Frauen) neigen heute in steigendem Maße dazu, ein idealtypisches Bild von
Partnerschaft, Familie und vom Leben mit Kindern zu zeichnen. Besonders
für Männer, die im Alltag wenig mit den Kindern zusammen sind, entsteht
das Risiko, die tollen Aktionen mit Kindern vollständig einer "Gegenwelt"
zuzurechen.
Gute gemeinsame Zeit, wichtige Begegnungen, schöne gemeinsame
Erfahrungen haben ihren Wert für sich. Sie zeigen darüber hinaus, dass
besseres Leben möglich ist. Aber es besteht die Gefahr, dass Väter ihre
Kinder in dieser Gegenwelt alleine zurücklassen, weil sie keinen Weg
sehen, sie in ihren Alltag der beruflichen und anderer Zwänge mitzunehmen.
Dann ist es eine Frage religionspädagogischer Verantwortung, Formen zu
finden, in denen Väter und Kinder den "Pendelschritt zwischen Welt und
Gegenwelt" gemeinsam gehen können. Das kann zum Beispiel das
gemeinsame Gebet zum Abschluss eines Vater-Kind-Wochenendes sein.
Beten markiert die Übergänge zwischen Welt und Gegenwelt. Es hilft
Realitäten zu sehen und Hoffnung zu bewahren über den Tag hinaus.