Zeigen
„Mama“, „Papa“ – das sind in den meisten Fällen die ersten Worte, die ein Baby
sprechen wird. Natürlich ist das zum Dahinschmelzen. Umwerfend, wie das
erste Lächeln. Wir werden angesprochen, wir werden gesehen! Als Vater oder
Mutter sind wir natürlich immer schon in einer Beziehung mit diesem Kind, und
doch spüren wir es auf diese Weise noch einmal neu, wenn wir zusammen in
die magische Welt der Worte aufbrechen. Sehr bald kommt ein weiteres Wort
hinzu, dass eine ganze Welt erschließen will: Das Kind sitzt auf unserem Arm,
guckt sich um und streckt den Arm aus. „Da!“
Zeigen und Sprechen, auf etwas aufmerksam machen, was zum Beispiel
entfernt dort hinten ist, den anderen anzeigen: „Ich hab da was
wahrgenommen!“ Und: „Schau auch hin! Siehst du es auch? Lass uns
zusammen hinsehen!“ Wen ich jemandem etwas zeige, wird etwas geteilt. „Ja,
da! Der Vogel, der zwitschert so lustig! Piep, piep! Gefällt dir das?“ Und so geht
es weiter. Wer auf etwas zeigt, lässt andere teilnehmen und holt es rein in die
Beziehung.
Wir zeigen uns gegenseitig die Welt. Tatsächlich gegenseitig! Dass Väter ihren
Kindern „die Welt zeigen“ ist geradezu eine klassische Rollenanweisung. Auch
wenn das Klischee nicht stimmt, denn es stammt aus der Zeit, als Männer für
die Außenwelt zuständig sein sollten und drinnen, an Heim und Herd, wohl
weniger ihren Platz fanden. Es hat sich aber etwas davon enthalten, wenn
heute noch Väter eher als die Experten für Tobespiele, Naturentdecken und
was zu wagen gelten. Die Welt zu erforschen und erklären zu können, macht ja
auch Spaß! Es gehört auch dazu, wenn die Kinder bei den vielen
Herausforderungen des Lebens begleitet und beschützt werden. Väter zeigen
dabei etwas von sich selbst: eine fürsorgliche Seite. So, wie sie vorher
vielleicht noch nie zum Vorschein kommen konnte.
Väter lassen sich also von ihren Kindern etwas zeigen. Denn Kinder sehen
mehr. Das fängt damit an, dass sie Dinge und Ereignisse bemerken, denen die
Erwachsenen kaum Aufmerksamkeit schenken. Praktisch alles in Reichweite der
Sinne kann interessant sein. Während Väter gewohnt sind, alles Mögliche im
Kopf zu haben und schon mal vorauszudenken, zeigen Kinder auf das, was
direkt vor uns liegt, im aktuellen Moment.
Nicht nur das: Sie sehen auch anders, für sie ist alles neu. Was frisch ist und
auffällt, hat auch eine ganz eigene, unverwechselbare und aufregende Tönung.
Als Erwachsenen können wir uns noch immer solche besonderen Kleinigkeiten
ins Bewusstsein rufen, sie schmecken und fühlen. Manchmal geht unter, dass
uns diese Fähigkeit ein Leben lang erhalten bleibt. Kostbare Situationen: der
Beginn einer großen Liebe, ein spektakulärer Erfolg, die ersten Tage mit dem
Baby – und so vieles mehr – diese Eindrücke können wieder intensiv aufleben.
Dann erscheint die Welt tatsächlich vor uns wie mit Kinderaugen gesehen.
„Papa, ich will dir was zeigen“, zu hören und zu erleben bringt auch längst
erwachsenen Vätern diese unmittelbar frische Qualität im Leben zurück.
So etwas können sich Väter von ihren Kindern zeigen lassen, wenn die mit
einem beherzten „da!“ auf eine der unzähligen Kleinigkeiten in der Welt
deuten. Im gleichen Zuge gucken sich Väter von ihren Kindern etwas sehr
Wichtiges ab. Später, wenn die Tochter, der Sohn größer geworden sind, heißt
es dann vielleicht „Schau mal, hier, wie findest Du das?“ Es kommt darauf an,
wieweit es möglich ist, sich darauf einzulassen und von all den Dingen, die
einem den Kopf verstopfen und was einen da im Alltag alles herausfordert und
einem Reaktionen abverlangt, ein bisschen abzurücken und auf den Augenblick
zu achten. Und wie es einem selber gerade geht.
Der Gegenstand, der gezeigt wird, oder die neu erlernte Fähigkeit des Kindes,
löst ja etwas in einem aus, wir nehmen Anteil. Im besten Falle, denn so wird es
ein echtes Erlebnis, nehmen wir uns dabei selber wahr. Als Vater muss man
manchmal auch pflichtschuldig hingucken müssen (weil das wichtig ist für das
Kind und für die gemeinsame Beziehung). Hoffentlich aber erleben wir uns
auch oft genug interessiert und fasziniert, belebt und aktiviert.
Dann wird aus dem Hin-, Drauf- und Mitschauen ein eigenes Zeigen. Ich zeige
mich als Vater, als Mensch, als Mann. Was weckt mein Interesse, was finde ich
spannend, wo habe ich Lust darauf, mehr zu erfahren? Was entdecke ich Neues
an mir selber? Wie viel davon will ich zeigen, was lässt mich zögern, wo setze
ich lieber Grenzen? Wo ich mir selber näherkomme, komme ich auch meinem
Kind näher. Wir werden gemeinsam größer. Wie sich zeigt.