
Gottesdienst - Predigtentwurf
Vater – Sein und Haben?
Ein Predigtentwurf zu Johannes 17,20-26 aus der Vater-Sohn-Perspektive
Im Rahmen einer Väter-Kinder-Aktion der evangelischen Gemeinde soll ein Familien-Gottesdienst gefeiert werden. In ihm überwiegen kinderfreundliche Elemente: fröhliche und leicht singbare Lieder, Bewegung, kurze Erzählung und verstehbare liturgische Texte wie Gebete. Im besten Fall ist auch Raum für Spontaneität; eine klerikale One-man-show muss dieser Familien-Gottesdienst nicht bleiben. Und doch darf es nach meiner Erfahrung auch ruhig einen Teil geben, der auf die Erwachsenen fokussiert ist: eine (kurze) Predigt. Der folgende Entwurf geht vom vorgeschlagenen Perikopentext zum Fest Christi Himmelfahrt aus und versucht, der fröhlichen Stimmung eines Familien-Gottesdienstes zu entsprechen und hofft, dass das Stilmittel „Ironie“ auch als solche dechiffriert wird. Der Gottesdienst könnte wohl am besten den Auftakt zu einer größeren Aktion an Christi Himmelfahrt sein; als Abschluss nach mehreren Stunden action sollte lieber eine kürzere liturgische Form, etwa ein entfalteter Segen stehen.
Liebe Gemeinde aus Groß und Klein, liebe Väter,
es scheint heute schlecht um uns Väter bestellt zu sein, dachte ich kürzlich, als ich mir den bei mei-ner ganzen Familie so beliebten Katalog einer ehemaligen Elterninitiative, die unterdes zu einem Hauptausrüster für Kinderzimmer, -betten und -kleiderschränke mutiert ist, erobern konnte. Deren „familienmagazin“ lag nämlich ein Sonderheftchen „papaextra. für Papas zum Sammeln“ (Katastrophe: schon die Nr. 4 – da muss ich ´mal wieder die ersten drei Hefte total verpennt haben!) bei, worüber ich mich prima vista ja sehr freute, dann aber beim Durchlesen feststellte, dass in uns allen eine Art „Bruno“ zu stecken scheint: Wir sind gar keine Väter, nein, wir sind alle Väter mit Problemen, und zwar nicht einfach ebenso, sondern so richtig tief in uns drin: „Problemväter“. Das kam mir nicht nur nicht recht, stieß mir nicht nur sauer auf, sondern ging mir auf den Keks – und ist na-türlich gerade in meinem Fall schon objektiv völlig falsch: Ich bin ein total toller Papa, beschränke meine Berufsarbeit um der Kinder willen, koche gerne Kartoffelbrei, schneide die Finger- und Zehennägel der Kinder, spiele Tischkicker und „UNO extreem“ mit meinen Jungs und raufe und schmuse mit ihnen. Ich Vater bin doch kein Problem! – im Gegensatz zu all den anderen, die in väterlich-familiären Eskapismus machen und erst recht gegenüber den früheren Vätern, diesen Paschas und patriarchalen Grobianen! Ich bin kein Problempapabär, nein, und Ihr alle, die Ihr mit ganzem Be-wusstsein und mit Euren Kindern zu einem Vatertags-Familiengottesdienst gekommen seid, Ihr eben auch nicht. Na, und natürlich ahnen die Verfasser einer Katalog-Beigabe auch, dass man seine potentiellen Kunden nicht so direkt angehen darf, sie vielmehr dadurch interessieren muss, dass man suggeriert, bei deren Problemen hilfreich sein zu können. Denn nicht wir heutigen Väter sind das Problem, also unser Umgang mit unseren Kindern, nicht unser Papa-Sein, so „papaextra“, son-dern unser Umgang mit unseren eigenen Vätern, mithin unser Papa-Haben. Da schwollen mir die Zornesadern erst so richtig an, weil, na ja, die anderen, die stellen sich, das finde ich ja auch, schon ziemlich blöde an mit ihren eigenen Vätern, die ich oft irgendwie ganz okay finde, aber mein „Al-ter“ dagegen, der ist eben objektiv ein sehr schwieriger Fall. Jedenfalls liegt das Problem „Vater haben“ nicht auf meiner Seite – und dann mag ich es nicht, wenn man mir den gut gemeinten (!) Tipp gibt, die eigene innere Zerrissenheit dadurch zu überwinden, indem man seinen Vater wertzu-schätzen versucht. Was trägt es schon zum Heil-Sein bei, wenn man eins mit dem Vater ist? Pa!
In dieser Stimmung griff ich zum heutigen Predigttext – und war gerührt, ein wie positives Vaterverhältnis Jesus unterhalten hat – und dabei hatte Jesus es wohl auch nicht immer ganz leicht mit seinem himmlischen Vater, wenn man beispielsweise an die Szene im Garten Gethsemane denkt. (Predigttext lesen: Johannes 17,20-26) Diese Verse vom Ende von Jesu Fürbittgebet aus dem Johannes-Evangelium (cap. 17) scheinen eine Zusammenfassung dessen zu sein, was der heutige Fei-ertag, was Christi Himmelfahrt bedeutet: Gott-Vater und göttlicher Sohn sind eins, damit auch die, die mit dem Sohn verbunden sind, mit hineinkommen in diese göttliche Ganzheit, und all das geschieht, damit die ganze Welt Gott zu loben beginnt und dadurch natürlich auch von dieser heilen Ganzheit umschlossen wird. Am Christi-Himmelfahrts-Tag ist Vatertag, kirchlich gesehen wird er als Gott-Vater-und-Sohn-Tag gefeiert in der Hoffnung, dass er als „Einheits-Tag“ vollendet wird: zunächst die Einheit zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn, sodann zwischen denen, die an Christus glauben und ihrem Gott, und schließlich die in Gott begründete, erhoffte und herbeigeglaubte Einheit aller Menschen, der ganzen Welt, von Himmel und Erde, der ganzen Schöpfung.
Was mich immer wieder bei biblischen Texten und eben auch bei diesem Text anrührt, und was ich mir auch nicht mehr kaputtmachen und kaputt reden lasse von Väter-kritischen Zeitgenoss/inn/en, die bestimmt viele gute Gründe für ihre Haltung haben und vielleicht schlimme Erfahrungen mit Vätern machen mussten, ist, wie heil und heilend Vater-Sohn-Beziehungen sein können. Immerhin hat schon Jesus selbst die geradezu intime Anrede Gottes mit „Papi“ (abba) eingeführt, und immerhin haben in Verlängerung davon die neutestamentlichen Schriftsteller sowie die späteren kirchlichen Theologen das Verhältnis von dem Himmelsgott und dem Prediger aus Nazareth, das es ja irgendwie zu erklären galt, als ein väterliches Verhältnis dargestellt. Ein gar nicht mehr so unumstrittenes Bild: Völlig überrascht war die kirchliche Szene, als eine Gemeinde in unserer Nähe ihrem Gemeindezentrum den Namen „Vaterhaus“ gab – welch ein lebensfroher Glaube muss hinter einer solchen Entscheidung stecken! Gott-Vater gibt, ja ist uns selbst ein Ort der Geborgenheit und des Heil-Seins.
Es ist also nicht so, dass wir nun wieder unter Druck gesetzt werden und uns ein Vorbild an Jesu Vater-Verhältnis zu nehmen hätten, denn wer könnte es schon dergestalt mit Jesus aufnehmen? Eins-Sein mit dem Vater – eine fast bedrohliche Vorstellung für uns Menschen. Gerne wäre ich häufiger einmal einig mit meinem „alten Herrn“, ja, aber nicht eins – diese intime menschliche Einheit besteht nur zwischen mir und meiner Frau. Eins-Sein geht gar nicht, weil ich ja auch viel von meiner Mutter mitbekommen habe, und auch das Einig-Sein mit dem eigenen Vater ist lange, lange her: Ich entsinne mich noch, dass wir als 10-, 11-Jährige in den 70er Jahren Elfmeterschießen gemacht haben und dann sozusagen für die Parteipräferenz unserer Väter geschossen haben: die einen schossen und trafen für die CDU, die anderen für die SPD. Bei unserem Kick gewann seinerzeit Helmut Kohl, aber Helmut Schmidt blieb doch Bundeskanzler! Beim nächsten Wahl-Mal war ich dann schon gar nicht mehr einig mit dem Vater und engagierte mich bereits gegen den Kandidaten der Konservativen, gegen unseren politischen Lieblingsfeind Franz Josef Strauß. Wie oft hat in den folgenden Jahren meine Mutter beim Abendbrot dann Vater und Söhne fast wimmernd darum gebeten, die lautstark ausgetragenen politischen Streitereien doch endlich zu beenden! Da war nicht mehr viel von „einig“, und ganz erholt haben wir, Vater und Söhne, uns davon nie mehr. Nein, einig und eins mit dem Vater wie Jesus, das bin ich nicht mit meinem Vater, und das will ich auch nicht, wenn wir nun älter werden – aber ich kann’s und brauch’s auch nicht, denn ich bin auch anders Sohn dieses Mannes wie Jesus Gottes Sohn ist: Jesus, so lehrt uns eben nicht zuletzt Christi Himmelfahrt, ist tatsächlich eines Wesens mit dem himmlischen Vater. Derart gehöre ich aber nicht auf die Seite meines biologischen Vaters.
Dankbar aber können wir wahrnehmen, dass offensichtlich so viel Potential in der menschlichen Vater-Sohn-Beziehung liegt, dass sie zu einer zentralen theologischen Kategorie geworden ist. So kann und will ich heute an Christi Himmelfahrt fröhlich über Gott sein und mich an ihm freuen, Gott Vater und Sohn in ihrem Eins-Sein feiern und genießen. Und in dieser Gottesfeier ist es überhaupt nicht als eine moralinsaure Verflachung dieser guten Nachricht zu verstehen, wenn wir dann auch, quasi im Umkehrschluss, vom göttlichen Vater-Verhältnis auch nochmals auf unsere menschlichen Väterbeziehungen schauen. Ein anderes menschliches Geschlecht hat einmal quasi alles zu einem Geschlechterthema gemacht, indem das Schlagwort „Wir sind zwar nicht alle Mütter, aber wir sind alle Töchter“ erfunden wurde. Auch schön. Aber wir Väter, die wir diesen kirchlichen Vatertag begehen, wir vereinen in uns beides: Wir sind Väter, und deshalb haben wir Kinder und kommen dort unserer Lebensaufgabe nach, und wir sind selbst Söhne, haben also Väter, die unterdes älter werden. Sie begleiten uns, verfolgen unseren Weg, nehmen Anstoß an uns, weil wir ja sowieso alles besser wissen und dumme Sachen machen, aber bestimmt hoffen sie auch darauf, von uns begleitet zu werden, unser Interesse an ihrem möglicherweise immer beschränkter werdenden Leben zu finden. So wie wir uns täglich bemühen, starke Papas für unsere Kinder zu sein und uns dafür heute gerne ein bisschen feiern lassen wollen, so könnten wir ja gerade auch den Vatertag selbst wieder zum Anlass nehmen, selbstbewusste und zuwendungsbereite Söhne für unsere Väter zu sein. Wenn es der ganzen Welt so gut tut, die Einheit aller Dinge in der Hinwendung und Zusammengehörigkeit der göttlichen Personen zu finden, dann tut es uns allen, uns und unseren Vätern und unseren Kinder – und dann auch allen, die das sehen – gut, wenn wir uns einander zuwenden. Das Titelblatt von „papaextra“ Nr. 4 ist mir Tage lang auf den Senkel gegangen: dieser wahnsinnig süße blonde 11jährige, der zwischen einem mild-bescheiden lächelnden, den Kopf leicht schief haltenden, aber bestimmt unglaublich guten Papi Anfang 40 und dem außerordentlich alerten, fast alternativ-jugendlich wirkenden Opi sitzt, alle ja sooooooo glücklich vor der Tür eines Sommerhauses, dass fast das Titelblatt vor Kitsch platzt. Aber, auch wenn wir sowohl theoretisch und abstrakt als auch konkret aus unseren Erfahrungen wissen, dass das Leben nicht selten ein Kampf ist, auch ein Kampf um gut und böse, warum sollten wir es dann nicht auch aushalten können, mit dem jedenfalls potentiellen Heil von Vater und Sohn/Kind über drei Generationen konfrontiert zu sein? Ich bin mir sicher, dass Gott-Vater und Gott-Sohn sich in ihrer Einheit und Ganzheit im Himmel freuen, wenn wir uns auf der Erde um die Heilung unserer Verhältnisse kümmern. Ich jedenfalls, ich rufe heute abend noch meinen Vater an und nehme an seinem Leben teil.
Pfr. Hans-Georg Ulrichs, Karlsruhe Studienleiter an der Evangelischen Akademie Baden
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