Freude finden
Wenn eine Krise hereinbricht, dann gilt es, sein Heil in der Flucht zu suchen,
die Schotten dicht zu machen, auf Tauchstation zu gehen. Wir haben es erlebt,
wir haben das so gemacht. Als Corona ins Land kam, wurde zwar immer wieder
gesagt: „Das ist ein Marathon“, und ja, das ist ein plausibler Gedanke. Aber wie
sich das anfühlt, was das mit einem macht – und was man selber dann damit
macht, das konnte man nicht wissen. Das mussten wir lernen.
Zuerst war da die Angst vor Ansteckung, oder Viren weiterzugeben. Dann
schlich sich obendrein die Befürchtung ein, irgendwas falsch zu machen bei all
den neuen Regeln. Kitas und Schulen waren zu oder unter komplizierten
Bedingungen teilgeöffnet. Familien fühlten sich zuhause eingesperrt, teils noch
samt dem Arbeitsplatz. Das war überfordernd.
In der Krise und jetzt, wo es ein Aufatmen gibt, mussten viele Wünsche warten.
Das ist frustrierend. Aber in den Wünschen steckt auch die Würze des Lebens!
Die Erinnerung, der Geschmack, die Lust auf gute Dinge. Und wenn große
Unternehmungen nicht gehen, dann lohnt es sich, nach den kleinen Dingen
Ausschau zu halten, die einem den Alltag schmackhaft machen. Gemeinsame
Aktivitäten, die entspannend wirken und wieder frische Kraft zuführen, statt in
dem jetzt schon gefühlt ewigen anhaltenden Bremsmodus mühsam vor sich hin
zu strampeln.
Väter denken da an ihre Kinder. Deren Bedürfnisse blieben in der öffentlichen
Debatte und in all den mehr oder weniger notwendigen Pandemiemaßnahmen
die ganze Zeit über seltsam ausgeblendet. Zurecht wurden oft die Ausfälle in
der schulischen Bildung beklagt. Schulen aufmachen oder zulassen? Darum
wurde teils heftig gestritten, doch ohne große Energien zu mobilisieren, die
Probleme mit Kreativität und Dringlichkeit zu lösen. Bei der Frage, wie Kitas
offen zu halten seien, ging es schon nur noch um die Belange der
Erwachsenen, die schließlich nach wie vor arbeiten mussten. (Und das immer
noch mussten, wenn die Kitas dann doch geschlossen waren.) Aber Kinder
brauchen mehr: lebendige Kontakte zu anderen Kindern, viel Bewegung, die
selbstverständliche Gewissheit, die Welt erobern zu dürfen, das Vertrauen, dass
alles gut und sicher ist. Um diese Fragen wurde sich öffentlich so gut wie gar
nicht gekümmert.
Eltern haben hier gewaltige Geduld bewiesen und alle Kräfte angestrengt, all
das möglich zu machen: Die Kinder zuhause zu versorgen, so gut es ging das
sog. Home-Schooling zu betreuen und in vielen Fällen auch den Anforderungen
ihrer Arbeitgeber nachzukommen, ob dann im Home Office oder auch außer
Haus.
Gerade Väter im Home Office haben sich verstärkt um ihre Kinder gekümmert.
(Was, man muss es leider betonen, trotz gegenlautender Medienartikel
statistisch bestätigt ist.) Zuhause zu arbeiten, ist für Familien, vor allem mit
kleineren Kindern, aber keineswegs so entspannend, wie das oft vorgestellt
wird. Für Kinder, für Mütter und für Väter war es eine schwierige Aufgabe, die
einzelnen Bedürfnisse in Ausgleich zu bringen. Komplett konnte das gar nicht
gelingen, es ging um die Bewältigung einer Krise! Die knappen Ressourcen
Kraft, Zeit, Platz und nicht selten auch Geld belasteten die Beziehungen.
Überall hieß es: In dieser Zeit wird deutlich, was wirklich wichtig ist, allem
voran die Familie. Wenn es auf die Familie ankommt und sie zugleich unter
besonderem Druck steht: Wie macht man da das Beste aus dieser Situation?
Auch wenn es die meisten Eltern mit gemischten Gefühlen sehen, die älteren
Kinder nutzten das, was ihnen zu Gebote stand: die Verbindung zu anderen
über das Internet, v. a. mittels Online-Games. War das falsch, oder erweist es
sich jetzt eher als Segen? Für kleinere Kinder heißt es, sich viel einfallen zu
lassen, um sie zu beschäftigen, um ihnen (teils) zu ersetzen, was ihnen verloren
ging und um die Beziehungen zu gestalten und zu pflegen.
Ewiges Vertrösten geht ja nicht. Und der Mangel an Mobilität, Begegnungen
und Spielmöglichkeiten (und oft guten Wetters) erzwingt es, sich auf das zu
konzentrieren, was geht. In aller Regel sind wir das nicht gewohnt, aber es
erfordert zweierlei: den Blick auf kleine Dinge zu richten und sie dann auch
wertzuschätzen. Sie nicht nur als Notlösung zu begreifen – wobei man sich da
auch herzlich drüber freuen kann, einen unscheinbaren Zeitvertreib zu
entdecken. Sondern darin das zu erkennen, was einem wirklich etwas bringt,
den Kern der Beziehung, das, was uns verbindet.
Es kann bei Brettspielen am Tisch passieren, beim Ballspielen, beim Vorlesen,
beim Kreidemalen auf grauen Asphaltflächen, beim Ästesammeln im Unterholz,
beim Klettern auf Gartenmauern, beim Wühlen im Matsch, beim Lachen und
beim Streiten. Und das ist der Kompass: die Freude darüber wahrzunehmen,
dass das gerade passiert. Das eine ist, zusammen Spaß zu haben. Das andere
ist, sich die Freude zu gönnen, dass man zusammen ist – im wahrsten Sinne des
Wortes: „zusammen“ „ist“. Das ist etwas sehr Kostbares. Eine Erfahrung, die in
der Beziehung von Vätern zu ihren Kindern immer schon mitschwingt. Man
kann sie sich bewusstmachen und die Kraft, die darin liegt, regelrecht spüren.
Bei kleinen Dingen geht das noch besser als bei großen aufregenden Events.
Und manchmal hilft es sogar, sich auch nur zu wünschen, was man machen
könnte. Der nächste Ausflug, der nächste Urlaub, ein Eis, ein
Schwimmbadticket, das nächste freie Zeitfenster … Keine großen Sachen, das
ist wahr. Aber auf alle Fälle ein Ausweg aus der Krise. Es fängt damit an, zu
fragen: „Papa, können wir mal wieder …?“